Hier findet man folgendes:
Der Mensch - von Natur aus - gut oder böse oder beides? August 22
Der Schwerpunkt der Frage liegt hier auf „von Natur aus“
Wie der Mensch von Natur aus handelt, wissen wir nämlich nicht. Wir wissen nur, wie sich Menschen verhalten, die durch eine (übrigens bereits vor der Geburt einsetzende) individuelle und gesellschaftliche intensive Prägung über Jahrtausende geformt sind.
Als böse wird traditionell eine Handlung bezeichnet, die anderen Menschen Leid zufügt oder Dingen oder der Natur schadet. Es ist überhaupt keine Frage, daß der Mensch sowohl zu Handlungen aus aufopferungsvollem Mitgefühl als auch zu schrecklichen Verbrechen fähig ist, aber die Frage ist eben, ob das von Natur aus so ist.
Antworten der Religionen
Judentum, Gen 8.21: Das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an (ähnlich Gen 6.5 und Ps 51.5)
Nach christlicher Auffassung war der Mensch ursprünglich gut (im Paradies) hat diesen Status aber durch die Sünde der Ureltern für immer verloren.( Lehre von der Erbsünde )
Der „Kurs in Wundern“ geht davon aus, daß der Mensch von Natur aus gut ist, aber durch eine „winzig kleine Wahnidee“ kam das kollektive Ego in die Welt, dessen Einfluß sich kein Mensch entziehen kann.
Der Buddhismus hält den Menschen für gut, zu der Frage, wie er zu schädlichen Einstellungen kommt, habe ich keine klare Aussage gefunden. Bemerkung hierzu.
Nach buddhistischer Auffassung ist der Buddhismus keine Religion im westlichen Sinne, sondern eine Wissenschaft vom Geist; er basiert weder auf der Vorstellung eines Schöpfers noch auf Gottvertrauen )1 S. 8 In der Volksfrömmigkeit enthält der Buddhismus allerdings viele religiöse Elemente
Nach Wolf Singer sprechen viele Ergebnisse der Neurobiologie dafür, daß der Mensch weitgehend altruistisch ist.
Die Mechanismen der Evolution sprechen eher für „gut“. Gruppen mit hilfsbereiten Mitgliedern waren im täglichen Kampf ums Überleben erfolgreicher, als andere und innerhalb der Gruppe hatte der Hilfsbereite mehr Ansehen und eine bessere Stellung. So könnte die Hilfsbereitschaft in unsere Gene gekommen sein
Das Wettbewerbsdenken ist sicher anerzogen bezw. durch gesellschaftliche Prägung implantiert
Ein Beispiel für gesellschaftliche Prägung. Es gibt empirische Belege dafür, daß Menschen, die in korrupten Systemen leben, unabhängig von ihrem sozialen Status weniger bereit sind, sich fair und empathisch zu verhalten, als Mitglieder von Gemeinschaften, in denen es „gerechter“ zugeht,)1
v. Hayek)5 behauptete, Wettbewerb ist die effizienteste Methode, die wir kennen.
C. Felber)2 fand zu dieser Frage 369 Studien aus Sozialpsychologie, Spieltheorie und Neurobiologie, von denen 87% zu dem Ergebnis kamen, Kooperation motiviert stärker als Wettbewerb.
Ein Beispiel für unbewußte Prägung: Spiele, z. B. „Mensch, ärgere dich nicht“ enden immer mit Gewinnern und Verlierern, d. h. fördern das Wettbewerbsdenken unbewußt schon im Kindesalter . Deshalb hat man in der Findhorn - Gemeinschaft schon vor vielen Jahren „New Games“ entwickelt, bei denen es keine Gewinner und Verlierer gibt und die trotzdem viel Spaß machen.
G. Roth hat gefunden, daß Prägungen bis zum 4. Lebensjahr später kaum noch verändert werden können, weil zu diesem Zeitpunkt das episodische Gedächtnis noch nicht ausgeprägt ist und Informationen noch nicht zugeordnet werden können, sondern einfach als Fakt abgespeichert werden.
Mit meiner Frau habe ich vor einigen Jahren – noch ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge - beschlossen, beim Tischtennis spielen nicht mehr zu zählen. Nach einiger Zeit hatten wir den Eindruck, daß wir mehr Freude daran hatten, wenn dem anderen ein besonders guter Schlag gelingt als vorher über ein gewonnenenes Spiel.
Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem geht davon aus, daß das Streben nach „schneller, höher, weiter, reicher“ zur Natur des Menschen gehört. Daß dies nicht der Fall ist, zeigen die Aborigines, die diesen Drang über 40 000 Jahre nicht entwickelt haben, sondern ihre Intelligenz auf hoch entwickelte Sozial- und Gesundheitssysteme ausrichteten.
Viele Menschen glauben, daß der Mensch von Natur aus egoistisch ist. Genauere Untersuchungen zeigen jedoch, daß der Mensch, wie jedes Lebewesen, ein Eigennutzstreben besitzt, ohne das er nicht überlebt hätte. Nur unter ungünstigen Bedingungen kann dieses Eigennutzstreben zu Egoismus entgleisen
Ein Hinweis ist für mich auch die oft spontan hervorbrechende Hilfsbereitschaft, wenn z. B. ein Mann ein beim Schlittschuh laufen eingebrochenes Kind unter Einsatz seines Lebens rettet. Wenn diese Retter später befragt werden, warum sie das getan haben, reagieren sie oft hilflos:„ich konnte einfach nicht anders.“
Konrad Lorenz legt in seinem Buch „Das sogenannte Böse“ dar, daß die von uns meist negativ bewertete Aggression für den Urmenschen bei der Abwehr von Feinden, der Nahrungssuche und Partnersuche für das Überleben absolut notwendig war und dehalb in den Genen verankert wurde.In unserer Zivilisation hat der Mensch jedoch meist kaum Möglichkeiten diese Aggression (die laut Lorenz „im Durchschnitt für zwei ordentliche Wutanfälle je Woche“ ausreicht) auf unschädliche Weise auszuleben. Insofern hat der Mensch eine völlig überhastete Entwicklung hinter sich: Er hat die Welt in Zeiträumen verändert, die für eine Anpassung der Gene viel zu kurz waren.
Hanna Ahrend und Erich Fromm haben sich intensiv mit Adolf Eichmann auseinander gesetzt und kommen zum Schluß, daß dieser gar nicht in der Lage war, seine Schuld zu erkennen. Das einzige Gefühl zu dem er fähig war, war bedingungsloser Gehorsam.
G. Roth meint, kein Mensch wird als Verbrecher geboren )3
Bei Personen, die jahrelang eine auf Mitgefühl ausgerichtete Meditation praktizierten, hat man im MRT festgestellt, daß die für Ängste „zuständigen“ Teile der Amygdala deutlich verkleinert und die „Mitgefühlbereiche“ deutlich vergrößert waren. Solche Menschen,z. B. der Dalai Lama, M. Ricard und andere Mönche sind wahrscheinich gar nicht mehr in der Lage, anderen Menschen Leid zuzufügen, weil Mitgefühl zu ihrer zweiten Natur geworden ist..
Aber nur wenige Menschen sind bereit, einen derart anspruchsvollen Weg zu gehen.
Neuerdings hat der Historiker Rutger Bregmann einige interessante Aspekte gefunden. Er hat festgestellt, daß in den letzten Jahrzehnten in den Wissenschaften, der Anthropologie, der Archäologie, der Soziologie und der Psychologie sich ein eher freundliches Menschenbild durchzusetzen beginnt. Zum Beispiel geht man davon aus, daß in der extrem feindlichen Umgebung der Eiszeit nur Menschen überleben konnten, deren Freundlichkeit dazu führte, daß sie Freunde hatten. Außerdem hat sich bei der Eröffnung von Archiven gezeigt, daß z. B. das ,„Stanford Prison Experiment“, das sich in praktisch in allen Psychologie- Büchern findet und mit dem angeblich bewiesen wurde, daß alle Menschen von Natur aus zu äußerster Grausamkeit fähig sind, nach heutigen Maßstäben diesen Schluß in keiner Weise zuläßt. Ähnliches gilt für das Milgram – Experiment. Ein anderer Hinweis sind die vielen Hundert Höhlen – Zeichnungen aus prähistorischer Zeit. Auf keinem finden sich Hinweise zu kriegerischen Aktivitäten.
Bregmann sieht den Beginn der Probleme im Eigentum.
Die größte Versuchung ist Macht (steht auch in der Bibel)
Ein Beispiel liefert die spontane Hilfsbereitschaft, wenn z. B. ein Kind auf einem vereisten Teich einbricht, ein Auto in einen Fluß fällt oder bei großen Katasrophen, wie beim Tzunami.
Ein großes Problem: in vorhistorischen Zeiten bedeutet es für einen Menschn praktisch das Todesurteil, wenn er aus seiner Gruppe ausgeschlossen wurde. Deshalb will der Mensch auch heute unbedingt zu einer Gruppe gehören und begeht im schlimmsten Fall Grausamkeiten, um nicht ausgeschlossen zu werden. Dazu kommt, daß wir unbedingt geliebt werden wollen.
Dem Menschen fällt das Töten eines Anderen sehr schwer. Soldaten müssen regelrecht dressiert werden, um diesen Impuls zu überwinden. Aus dem Vietnam-Krieg kehrten viele Soldaten mit seelischen Traumata zurück.
Für mich ergeben sich aus dem Gesagten starke Hinweise, daß der Mensch von Natur aus altruistisch ist. Es gibt aber viele Faktoren, die momentan oder permanent zu einer Überlagerung dieser Grundstruktur führen können.
Was also ist zu tun
- Wir müssen eine Gesellschaft schaffen, in der es möglichst gerecht zugeht
- - Wir müssen dafür sorgen, daß intensiv daran geforscht wird, welche wirksamen Therapiemöglichkeiten bei psychisch Geschädigten bestehen
- In Kindergärten und Schulen müssen Kinder Hilfen bekommen, wie man die eigenen Gefühle und die der Anderen erkennt und deutet
- Wir müssen intensiv daran forschen, welche Hilfen man „normalen“ Menschen geben kann, um ein „Ausrasten“ weniger schädlich zu gestalten
Es gibt viel zu tun und es eilt!
)1 W. Singer (Hirnforscher) u. M. Ricard, (Buddh. Mönch) „Jenseits des Selbst“ S. 120
)2 Christian Felber, Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie -Bewegung
)3Gerhard Roth, Biologe und Hirnforscher
)4 Thomas Metzinger, Prof. für Philosophie an der Uni Mainz
) 5 v. Hayek, einer der Vordenker des Neoliberalismus, Nobelpreisträger
) 6 Rutger Bregmann, Historiker „der gute Mensch“, Buch und Video bei youtube